Live for this

Langsam öffne ich meine Augen …

Zusammengekauert hänge ich auf der Liege, die in der Not zum Stuhl umfunktioniert wurde. Ich bewege meine Zehen, und spüre, dass sich das Wasser und der Schlamm den Weg ins Innere meiner Schuhe gebahnt haben. Die Sitzfläche und die Rückenlehne sind total nass, weil sie das Wasser meiner durchnässten Kleidung aufgesogen haben wie ein Schwamm. Neben mir hockt Sven, in ähnlicher Position. Seit Stunden herrscht Schweigen. Einzig und allein das laute Prasseln des Regens auf die Außenseite des Shelters stört die Ruhe.

Unser Schweigen hat zweierlei Gründe…

Zum einen ist es die pure Wut, über diesen scheinbar nie enden wollenden Scheiß-Winter, der sich in diesem Jahr einfach nicht abschütteln lassen will und es immer wieder aufs Neue schafft uns einzuholen, den Angelplatz in eine Schlammwüste zu verwandeln und jeden Handgriff zur Tortur werden zu lassen.

Zum anderen ist es die Wut, die Enttäuschung und der Frust über die selbstverschuldete, unsaubere Köderpräsentation in dieser Nacht, die zur Folge hat, dass nur noch 2 unserer Fallen scharf sind. Alle anderen sind entweder wegen Treibgut abgerissen, oder pfeifen so arg, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis sie sich ebenfalls verabschieden.

Normalerweise würde man diese Montagen jetzt von dem Schrott befreien …

der sich in der Leine verfangen hat. Nachdem Sven ca. eine halbe Stunde vorher eine Rute, die sich dem Druck von Wasser und Treibgut ergeben musste neu ausgebracht hatte und dabei sichtlich und auch hörbar (auch Lehrer benutzen ab und ab Kraftausdrücke an seine Grenzen ging, waren wir uns jedoch sicher, heute alles seinem Schicksal zu überlassen und keine Rute mehr zu säubern, geschweige denn neu auszulegen. Der absolute Tiefpunkt.

Einen weiteren Motivationsschub erhalten wir, bei der Kontrolle des Markerstöckchens, welches uns steigendes Wasser signalisierte – schnell steigendes Wasser. Dies war, wenn man bedenkt, dass wir auf einer kleinen Insel, mitten auf einem der größten Flüsse Europas saßen, eher unerfreulich und langsam teilte sich das Gefühl von Wut und Ärger den Platz mit einer weiteren Emotion – dem Respekt, oder soll man sagen, einem Anflug von Angst vorm Ungewissen.

Da wir diesen Flussabschnitt bisher nie gefischt hatten …

konnten wir schlecht einordnen, wie weit das Wasser noch steigen würde. Das auf der Insel liegende Treibgut lies Spielraum für Schätzungen zu, die uns ruhiger stimmten, da einige Bereiche deutlich höher gelegen waren. Aber was, wenn es einfach weitersteigt?

Mitten in die Überlegungen platzt der Bissanzeiger. Die Karausche hatte, wie einige Male zuvor, Laut gegeben. Doch diesmal folgte eine harte Attacke, sodass die Rute nach vorne peitschte. Normalerweise kann man solch einen Biss kaum verschlagen, in einer Nacht wie dieser allerdings schon. Einige Minuten später sitze ich wutentbrannt, laut fluchend über mich und die Gesamtsituation im Boot und fahre Richtung Boje. Ich folge der Schnur, kann sie aber kaum erkennen, da mir die fast leeren Batterien meiner Kopflampe und der Regen, der mir beim Hochschauen in die Augen fällt den Durchblick rauben und meine Nerven auf die nächste Probe stellen.

Zwei Tage später schlage ich Kofferraumklappe zu …

In diesem Moment wird es enttäuschende Gewissheit. Wir sind 3 Nächte lang ohne jeden Fischkontakt geblieben. Eine lupenreine Nullnummer steht zu Buche. Selbst beim Feedern haben uns die Fische gezeigt, wo der Hase herläuft, bzw. uns deutlich zu verstehen gegeben, dass am Ende immer noch sie bestimmen, wer als Sieger vom Platz geht.

Warum sind wir blank geblieben?

Natürlich sind da immer schnell Ausreden gefunden. Das Wetter, das Wasser, Luftdruck, Temperaturen – Hauptsache man muss sich nicht eingestehen falsch geangelt zu haben. Bei dieser Thematik sind wir im Normalfall sehr selbstkritisch. Diesmal, bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als den Grund für die schlechte Ausbeute am Wasser fest zu machen. In den drei Tagen, die wir fischten änderte das Wasser sein Gesicht nämlich nicht nur durch den Anstieg des Pegels. Auch die Farbe änderte sich, von einem „gesunden“ Grünstich, hin zu einem ekelhaften hellgrauen Farbton, der schon beim Anblick verrät, dass Schmelzwasser im Umlauf ist. Das Echolot bestätigte dies. Die Wassertemperatur war seit dem Pegelanstieg kälter geworden, von 13 °C auf etwas über 10°C gefallen. Dass dieser Umstand den Welsen die Mäuler vernagelte bewiesen wir uns in der letzten Nacht selbst. Fische hatten wir gefunden, eine Ansammlung mehrerer Fische, die in einem Gumpen bei 7 Meter Wassertiefe statisch verharrten. Mehr machen, als diesen Jungs unsere Köder einen halben Meter über den Kopf zu hängen und zu hoffen, dass sich einer anhebt, sei es aus Hunger, oder weil er sich durch die montierten Rasseln gestört fühlt, konnten wir beim besten Willen nicht machen.

Dieser Gedanke machte die negativen Emotionen schon ein gutes Stück erträglicher.

Gemischt mit der Gewissheit alles gegeben, viel gesehen, neues entdeckt und gelernt zu haben schöpften wir dann bereits bei der Heimreise neuen Mut und werden in einigen Wochen zurückkehren.

 

We live for this … and go on !!!