Zahltag … von Johannes Martin
Entspannt lehne ich mich …
gegen die steile Uferböschung. Die saftig-grünen Grashalme hängen mir ins Gesicht. Vor mir im Wasser liegen zwei große Welse. Abwechselnd klappen die breiten Unterkiefer der beiden Urtiere dabei auf und ab. Mit meiner rechten Hand schaufele ich Wasser auf ihre Haut, um sie feucht zu halten. Derweil nutze ich meinen linken Fuß um die Fische in ihrer Position zu stabilisieren, damit mein Freund Bodo die Szene mit der Kamera für die Ewigkeit festhalten kann.
Eine Situation in der viel schief gehen kann und normalerweise sollte eine gewisse Anspannung in der Luft liegen. Schließlich kostet es schon einiges an Konzentration, zwei große Fische so im Wasser zu händeln. Vor allem weil in etwa einem Meter Entfernung ein Steilabbruch erfolgt und wir die Fotosession in einem wirklich kleinen Schatten der vorbeischiebenden Strömung vollziehen. Jeder Fehler könnte nun unseren beiden Freunden die vorzeitige Flucht ermöglichen und uns ohne Erinnerungsschnappschuss, aber dafür mit langen Gesichtern zurücklassen.
Doch Gefühle wie Stress oder Anspannung …
sind in diesen Minuten weit entfernt. Im Gegenteil. Völlig relaxed beobachtet Bodo, wie er immer wieder seine Position verändert, um aus den Bildern das Bestmögliche rauszuholen. Auch das kalte Wasser, das mittlerweile in meine Wathose eingedrungen ist, stört mich nicht. Stattdessen macht sich in mir eine tiefe Zufriedenheit breit, denn mir wird klar, dass dies ein sehr spezieller Moment für mich ist. Es fühlt sich an wie eine Belohnung für all das, was ich in den letzten Jahren auf der Suche nach DEM Silure meiner Heimat investiert habe.
Dieses Gefühl kannte ich bisher nur von einem Erlebnis, das ich im letzten Jahr gemeinsam mit meinem Freund Sven durchlebte. Ihm gelang damals an meinem Hausgewässer ebenfalls der Fang eines Fischs über der magischen Marke. Dies war, bis zum heutigen Tag einer der emotionalsten Momente, die mir die Fischerei je bescherte. Auch damals schrieb ich davon, endlich für alles entlohnt worden zu sein, für die Mühen und die Arbeit, für all die investierte Zeit.
Trotzdem fühlt es sich heute anders an …
Die Zufriedenheit wird noch bestärkt durch ein weiteres Gefühl, was ich mit Worten nicht beschreiben kann. Es ist das Gefühl das den Unterschied ausmacht, beim Fang eines großen Fischs dabei, oder beteiligt gewesen zu sein, oder ihn eben selbst gefangen zu haben. Voller Stolz blicke ich auf die beiden Welse, schaufele erneut eine Ladung Wasser auf die beiden massigen Körper. Nach und nach beginne ich auch, die vergangene Nacht Revue passieren zu lassen. Eine Nacht in der wir fast alles auf eine Karte gesetzt hätten. Aber eben nur fast …
Wir befischten eine Stelle mit relativ stark strömendem Wasser. Die Kehrwasser und die Rinne vor uns, in denen sich zahlreiche Weißfische tummelten und sich immer wieder in akrobatischen Sprüngen zur Schau stellten, versahen wir mit einigen Steinmontagen. Auch der Rinnenauslauf und ein weiteres Kehrwasser flussab wurde mit U-Posen befischt.
Voller Vertrauen in unser Tun …
fieberten wir der bevorstehenden Dämmerung entgegen. Trotzdem lies mich mein Gewissen nicht in Ruhe, ich solle doch noch eine Rute ans gegenüberliegende Ufer spannen. Auch die Gewissheit viele Montagen erfolgversprechend gefächert zu haben konnte diesen Gewissensbissen keinen Abbruch tun. Es sah einfach zu gut aus, um sich nur auf die bereits gestreuten Köder zu verlassen. Minuten später ist auch diese Falle gestellt. Jetzt ist es perfekt. Die Ruten waren alle postiert, mein Gewissen beruhigt.
Ich sehe uns auf unseren Stühlen unter Bodos Schirm sitzen. Ruhig ist es. Viel zu ruhig. Und dunkel. Leise tröpfelt ab und an etwas Nieselregen auf die Außenhaut des Shelters. Unbeeindruckt davon trägt uns die Nachtigall eine Melodie nach der anderen vor. Die Glöckchen an unseren Rutenspitzen sind seit dem Auslegen stumm. Lediglich das zarte Surren der längsten Montage, die scheinbar etwas Kraut gesammelt hatte, vermischt sich mit dem sanften Gluckern der Kehrwasser vor unseren Füßen. Doch so schön die Kulisse auch sein mochte, langsam stellte sich bei uns ein Gefühl ein, uns mitten in einer ereignislosen Nacht zu befinden.
Zwei Stunden später …
weil es einfach nur sehr wenige Augenblicke beim Angeln gibt, die mir das Gefühl von Abenteuer, Freiheit und der viel zitierten „Magie“ des Welsfischens so stark vermitteln wie diese nächtlichen Ausfahrten mit dem kleinen Boot in mitten der Wassermassen. Das Ganze in kompletter Dunkelheit ohne Lampe durchzuziehen, intensiviert diese Emotion ungemein.
Ich erreiche den Ausleger, dessen Knicklicht schwach aber dennoch gut sichtbar im Strömungsschatten baumelt. Alles geht ganz schnell. Mit zwei starken Rucken in die Schnur zeige ich Bodo, dass er spannen kann. Einen Wimpernschlag später strämmt sich die Schnur wie von Geisterhand, hebt sich komplett übers Wasser und ich wünsche meinem kleinen geschuppten Schützling „Petri Heil“ bevor er auf Tauchstation geht.
Zurück am Ufer kann ich nicht anders …
als noch mal zu bekräftigen „wie geil“ das hier heute alles ist. Bodo gibt mir zurück, dass das „einfach der Hammer“ ist. Was so bescheiden begonnen hatte, hatte sich innerhalb der letzten 120 Minuten um 180° gedreht. Drei Seile führen vor uns ins Wasser. An jedem der Seile ein guter Fisch. Und einer davon sogar besser als gut. Er hatte sie, er hatte die 2m und sogar noch ein Stückchen mehr …
Alle Fische hatte ich der gleichen Rute zu verdanken …
Und zwar genau der „Verlegenheitsrute“, die nur aufgrund von Gewissensbissen ihren Weg zu ihrem Bestimmungsort fand … Wahnsinn. Alles entlud sich in diesen Sekunden. All der selbst auferlegte Druck, der mit den Wochen und Monaten entstanden war und danach dürstete endlich mal den Fisch zu fangen, der pausenlos im Hinterkopf umhergeisterte.
Alle Fragen, all das Drehen und Wenden des Erlebten und der daraus entstandenen Rückschlüsse. All die Fragezeichen und all die leisen Zweifel am eigenen Tun waren mit einem Schlag weg. Ich war so erleichtert und ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, wie oft ich meinem Kumpel Bodo an diesem Abend umarmt habe. Ich wusste gar nicht wohin mit meiner Freude.
Wenn ich nun mit einigen Wochen Abstand …
auf diesen Abend zurückblicke muss ich sagen, dass mir dieser Fisch nicht nur angeltechnisch einiges an Informationen gebracht hat. Nein, er hat mich auch etwas Wichtiges gelehrt. Man sollte sich bei unserem Hobby einfach nicht zu verrückt machen. Natürlich ist es sehr wichtig genau zu arbeiten, kontinuierlich am Ball zu bleiben und das Ganze zielstrebig voranzutreiben. Trotzdem sollte man auch versuchen, dem Ganzen realistisch gegenüberzustehen und zu sagen, dass beim Angeln der Zufall ein unumgänglicher Faktor für Erfolg oder Misserfolg ist. Man kann zwar versuchen den Zufall weitestgehend einzuschränken, aber gänzlich wird er nie verschwinden.
Schafft man es diese Tatsache in seinem Denken zu verankern, verlieren Emotionen wie übertriebene Verbissenheit oder Selbstzweifel schnell an Kraft. Es fällt leichter den eingeschlagenen Weg zu verfolgen und zwischenzeitliche Durststrecken einzuordnen.
Ich glaube mal irgendwo gehört zu haben, dass Benni Gründer mal irgendwann gesagt hat:
„Jeder bekommt beim Angeln das, was er verdient“
Ich denke dieser Satz trifft den Nagel genau auf den Kopf. Wer viel investiert wird früher oder später für sein Tun belohnt. Wichtig ist dabei, dass nicht auf halber Strecke die Nerven versagen oder der Antrieb ausgeht, sondern dass man es auch versteht sich in schwierigen Phasen immer wieder aufzurappeln und weiterzumachen.