Als die Flut kam … von Sven Dombach
Der Kalender zeigt den 12. Februar 2011 …
Wir stecken noch mitten im Winter. Die Tage sind kurz und die Nächte viel zu lang. Meine anglerische Motivation und Überwindungsgabe wird jedes Mal auf`s Neue auf die Probe gestellt, wenn die Entscheidung ansteht: „Gehe ich Fischen oder bleibe ich lieber zu Hause?“.
Ich hatte mir für diesen Winter vorgenommen erstmals keine Pause zu machen und konsequent einen Ansitz pro Woche zu versuchen. Ich wollte mehr über meinen Fluss erfahren, denn ich war mir sicher, dass der Silure auch bei uns ganzjährig zu fangen ist. Winteransitze an benachbarten Gewässersystemen hatten das ja bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Im Winter gestaltet sich das Welsfischen wesentlich schwieriger …
als in der warmen Jahreszeit. Nicht nur die Platzwahl, sondern auch die gesamte Umsetzung ist viel aufwendiger und benötigt sehr viel Zeit, von der man wiederum an den kurzen Wintertagen nicht sehr viel zur Verfügung hat. Eine gute Planung und Vorarbeit an den Tagen vor dem Ansitz sind unentbehrlich. Viele Arbeiten werden im Vorfeld schon zu Hause erledigt. Dazu gehört z.B. das Montieren und Umbauen der Ruten und das Vorbereiten von Abreissteinen. Die Aktivitätsphasen der Fische sind im Winter wesentlich kürzer und die dazwischen liegenden Ruhephasen wesentlich länger. Das bedeutet, dass man für einen Fisch mehr Zeit investieren muss, als bei anderen Temperaturen.
Die etwas wärmeren Tagstunden sind in dieser Zeit interessanter, als die kalten Nachtstunden. Auch dieser Tatsache muss beim Winterfischen Rechnung getragen werden. Das bedeutet, dass ich immer versuche möglichst schon morgens am Wasser zu sein, um möglichst viel von der wärmeren Phase mitzubekommen.
Da meine Angelpartner von meinem Plan, den kompletten Winter durchzufischen, verständlicherweise nicht besonders angetan waren, verbrachte ich in den letzten Wochen die meiste Zeit alleine am Wasser. Auch das machte die Sache nicht angenehmer. Eine helfende Hand wäre gerade bei den erschwerten Bedingungen eine willkommene Unterstützung. Außerdem ist ein Gesprächspartner in den langen Nächten von teilweise 14 Stunden Dunkelheit Balsam für`s Gemüt.
Aber es geht natürlich auch alleine … wo ein Wille, da auch ein Weg!
Die vergangenen Ansitze brachten keinen Fisch …
Keine Bisse oder welsverdächtige Aktivitäten. Über Wochen habe ich am Wasser nicht mal mehr andere Fische beobachten können. Das Wasser erscheint leer und ausgestorben zu sein. Extreme Temperaturen mit Nächten unter 10 Grad Minus, Schneefälle, Regen, Nebel und glas-klares Wasser ließen den Winterwels in weite Ferne rücken und ich musste oftmals sehr mit mir kämpfen, um weiter zu machen. Natürlich hatte ich auch den Gedanken lieber zu warten, bis es wärmer wird.
Bei meinen Überlegungen war ich aber sicher, dass irgendwann der Biss kommt und dann hätte ich einen wichtigen Anhaltspunkt und das Vertrauen in die Sache würde wachsen. Und um da hinzukommen musste ich weiter machen. Eine andere Möglichkeit habe ich nicht gesehen.
In der vergangenen Woche lagen die Außentemperaturen konstant über dem Gefrierpunkt und die Kontrollfahrt mit dem Boot auf dem Wasser brachte die Erkenntnis, dass die Wassertemperatur von 2 Grad (am letzten Wochenende) auf erfreuliche 5 Grad angestiegen war. Natürlich bewirkte das einen Motivationsschub und der Ansitz an diesem Wochenende wurde erstmals nicht in Frage gestellt.
Dauerregen setzte einen Tag …
vor der geplanten Session ein und aus diesem Grund entschied ich mich für einen Spot an dem ein Bachlauf braun gefärbtes Wasser in den Fluss einspült. Die Inspektion vor Ort bestärkte mich in diesem Plan, denn es bildete sich ein sehr interessantes Mischwasser mit einer vielversprechenden Strömungskante, wo sich klares Flusswasser mit trübem Bachwasser vermischte.
Wenn ich am Wasser ankomme, hat das Ausbringen der Ruten die höchste Priorität. Alles andere kann warten und wird zu einem späteren Zeitpunkt gemacht. An diesem Tag geht das Platzieren der Ruten wesentlich schneller, als bei den vergangenen Ansitzen, denn ich habe seit langer Zeit einmal keine gefrorenen Finger.
Es regnet ohne Pause und mein ständiger Begleiter Boxer Eddie wirkt sehr lustlos. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er sich nach dem warmen und vor allem trockenen Platz vor dem Kamin sehnt und ich bin mir sicher, wenn er reden könnte, würde er mir genau diesen Vorschlag machen. Aber er schweigt und lässt es auch diesmal wieder über sich ergehen, er sollte belohnt werden!
Die Ruten liegen und nun muss noch das Bedchair und der Schirm aufgebaut werden. Angesichts des steigenden Wassers und dem nicht enden wollenden Regen, entschließe ich mich dazu mein Lager ausnahmsweise einmal etwas weiter weg von meinen Ruten auf einer kleinen Erhöhung aufzubauen. Dieser Plan sollte sich noch als sehr wertvoll erweisen.
Als ich mit dem Aufbau fertig bin …
ist trotz schneller und reibungsloser Arbeit alles nass geworden. Alles ist vollgesogen mit Wasser und es gibt keine Aussicht auf Besserung bzw. Trocknung. Das kann ja eine tolle Nacht werden. Mal abwarten, was passiert. Kurz vor der Dunkelheit setzt Nebel ein und ich mache mir noch schnell eine Wärmflasche, die mich platziert in meinem Schlafsack an meinen Füßen wärmen soll. Das Rauschen des Gaskochers wird plötzlich unterbrochen von sehr markanten Vogelstimmen.
Nein, das sind keine einheimischen Vögel, aber ich habe sie schon mal gehört. Sie werden immer lauter und ich versuche trotz der schlechten Sicht etwas zu erkennen. Was mit leisen Geräuschen in der Ferne begonnen hatte, entwickelt sich zu aufdringlichen und fast schon leidenden Schreien. Das gibt’s doch nicht, warum sehe ich immer noch nix!?
Dann plötzlich. Auf der gegenüberliegenden Flussseite durchbricht ein sehr großer Vogel den grauen Nebelvorhang und landet auf dem Baum genau gegenüber von meinem Platz. Dann kommen immer mehr und das wilde Treiben wird immer heftiger. Jetzt wird mir klar was hier passiert. Es sind Wildgänse, die ihre Rückreise aus dem warmen Süden wegen schlechter Sicht unterbrechen müssen und hier ihr Nachtlager suchen. Aber ich verstehe es als ein Zeichen, es wird nicht mehr lange bis zum Frühling dauern. Hoffentlich. Nach einigen hektischen Minuten kehrt langsam Ruhe ein auf dem „Vogelbaum“ und mittlerweile hat die Nacht Einzug gehalten. Mein Handy zeigt 18.00 Uhr. Zeit zum Schlafengehen!!!
Ich befreie mich von den nassen Klamotten …
und krieche in meinen wohligen Schlafsack, der Dank der Wärmflasche für mich in dieser Situation das Paradies auf Erden darstellt. Wunderbar. Langsam entweicht die Feuchtigkeit aus meinen Gliedern und ich beginne mich zu entspannen. Eddie liegt unter meiner Liege und zittert sich in den Schlaf. Scheiß Hundeleben. Er mag keine Decke über sich und aus diesem Grund habe ich heute auf den 1000en Versuch verzichtet, ihn mit einer Decke vor der Kälte zu schützen. Er lernt es einfach nicht.
Ich falle sehr schnell in einen sehr unruhigen Schlaf. Der Regen prasselt unaufhaltsam auf meinen Schirm und meine Bissanzeiger melden sich immer wieder aber nicht etwa wegen ständiger Fischaktivität. Im Gegenteil. Treibholz und Wind sind die weniger erfreuliche Ursache dafür.
Ich muss wohl fest eingeschlafen sein und werde wach …
als Eddie sich unruhig unter meiner Liege bewegt. Er kriecht von einer Seite auf die andere. Ich schreie ihn genervt an und befehle ihm „Eddie…PLATZ“. Für ein paar Sekunden folgt mein treuer Freund diesem Befehl, doch dann setzt sich seine Unruhe weiter fort. Er beginnt zu Winseln. Ich mache meine Kopflampe an und leuchte auf den Boden. Nun sehe ich den Grund für Eddies leidendes Getue. WASSER. Überall ist Wasser. Der Fluss läuft unter meiner Liege durch und Eddie mittendrin.
Kurz sammeln und überlegen was ich jetzt mache. Was ist mit meinen Ruten. Die stehen bis zur Rolle im Wasser und neigen sich bedenklich nach vorne. So ein Mist. Ich ziehe schnell meine Wathose an. Zunächst geleite ich meinen Hund an Land und befehle im „BLEIB!“. Dann schnell zu meinen Ruten. Es gelingt mir diese auf einer kleinen Erhöhung zu platzieren, so dass die restliche Nacht nix mehr passieren sollte. Ich öffne die Bremse ein wenig, weil ich nicht möchte, dass sich Treibgut in der Schnur verfängt und mir dann die Rute samt Rutenhaltern in die Tiefe zieht.
Nachdem meine Angeln gesichert sind …
muss ich mein Lager nach hinten an einen höheren Ort versetzen. In solchen Momenten ist man so voll mit Adrenalin, dass man weder die Nässe noch die Kälte spürt. Dass es nach wie vor ohne Pause weiter regnet, sei hier nur am Rande erwähnt. Nach einer knappen Stunde sind alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen und ich falle ausgepowered und total aufgekratzt zurück in meinen Schlafsack. Mittlerweile ist die Wunderwärmflasche leider kalt und so dauert es viel zu lange, bis das Frieren aufhört und wieder an Schlaf zu denken ist. Die Sache scheint hier wohl wieder einmal am Wetter zu scheitern, denke ich. Es wird leider wieder nix mit dem ersehnten Fisch. Ich könnte …..
Ich schmiede den Plan mit dem Einsetzen der Morgendämmerung aufzustehen und dann möglichst zügig abzubauen und nach Hause zu fahren. Aber erst noch ein bisschen schlafen. Wenn man mit steigendem Wasser rechnet und nicht genau weiß, wieviel davon noch kommen wird, ist der Schlaf sehr wenig tief und von Erholung kann keine Rede sein. Gegen 7.30 Uhr beginnt es zu dämmern und so langsam wird mir das wahre Ausmaß der Flut deutlich. Wenn mein Hund nicht bei mir gewesen wäre, hätte diese Nummer übel ausgehen können. Eddie sei Dank!
Zunächst baue ich mein Lager ab …
und verstaue das Boot im Wagen. Es wird Tage dauern, das alles wieder zu trocknen. Irgendwann ist dann aber doch ein Ende der mühseligen Abbauaktion in Sicht und zum Schluss stehen nur noch meine Ruten auf ihrem noch „wassergeschütztem“ Hochplateau. Im Uferbereich hat sich eine Menge Treibgut in einem Rückdreher gesammelt und es ist wirklich ein Wunder, dass meine Ruten davon weitgehend verschont geblieben sind.
Da wo am Abend zuvor noch eine sichtbare Strömungskante zu sehen war, drückt der Fluss nun mit viel Zug vorbei und bei dem Anblick hätte jeder Raftingfan einen Riesenspaß. Aber wir sind ja beim Wallerangeln.
Ich bin gerade dabei eine meiner Ruten im Futteral zu verstauen, als ich aus dem Augenwinkel bemerke, wie die letzte Rute sich langsam nach vorne neigt…
Jetzt schwimmt mir am Ende wirklich noch so ein blöder Ast in die Schnur. Das gibt’s doch gar nicht, denke ich. Aber was ist? Da ist kein Ast, die Schnur ist frei und während ich das sehe, beginnt die etwas gelockerte Bremse langsam zu laufen. In diesem Moment schweben ganz sicher 1000 Fragezeichen ???? über meinem Kopf. Was ist das? BISSSSSSSSSSSSSSSSS!!!!!!!!!!!! BISSSSSSSSSSSSSS!!!! BISSSSSSSSSSSSSSSS!!!!!.
Ich nehme die Rute und schlage an …
Völlige Stille. Er hängt. Ich werde hier noch wahnsinnig und schreie meine ganze Emotion in den verregneten Morgenhimmel. Was ich geschrien habe, bleibt natürlich mein Geheimnis. Der Drill vergeht nach dieser langen Durststrecke viel zu schnell aber es gelingt mir den Fisch, den WELS sicher zu landen. Ich kann`s nicht glauben. Ein wegen dem trüben Wasser sehr hell gefärbter Silure kommt zu mir und tut mir damit einen Riesengefallen.
Mein Glaube an die Winterwaller an meinem Fluss wird bestätigt und es fühlt sich so an, als wären da niemals ernsthafte Zweifel gewesen. Ich mache weiter. Ich glaube an das, was ich tue und werde im nächsten Winter diese Erfahrungen auf alle Fälle ausbauen. Mit der Nachricht vom Winterwaller hole ich Achim aus seinem Bett und dieser ist eine halbe Stunde später bei mir am Wasser, um ein paar Foto`s zu machen. Danke Achim!
Mit dem Gefühl großer Dankbarkeit und innerer Zufriedenheit …
fahre ich nach Hause und es hat sich wieder einmal gezeigt, dass beim Wallerfischen immer ALLES möglich ist, auch wenn alle Zeichen dagegen sprechen. Und gerade das macht es aus und so schreite ich weiter auf der Suche nach den wahren Giganten, und natürlich war es ein glücklicher Zufall, dass ich die Erfolgsrute nicht schon vorher abgebaut habe.