Atemnot … von Sven Dombach
Ich sitze hier und schaue aus dem Fenster …
Der Himmel ist grau, es stürmt und es regnet. Eigentlich gar nix Besonderes aber eben nur eigentlich. Seit nun fast 8 Wochen hat uns der Himmel seine Tränen verwehrt und das hat sehr deutliche Spuren in der Natur hinterlassen. Der Boden ist knochenhart, die für diese Jahreszeit normalerweise üppig ausfallende Vegetation erscheint einem wie ausgebrannt und auch unsere Flüsse und Bäche tragen deutliche Spuren des dauerhaften Wassermangels.
Wo sonst ein praller Fluss seine Bahnen zieht, tröpfelt nur noch ein kleines Rinnsal und kämpft tagein tagaus gegen das Austrocknen. Für unsere Angelgewässer bedeutet das leider einen Ausnahmezustand, der durch die, für diese Jahreszeit übliche Braunalgenblüte noch erheblich verschlimmert wird. Eine braune, stinkende Brühe macht den Fischen das Leben zur Hölle. Das Wasser wirkt wie tot und über viele Flusskilometer ist kein Lebenszeichen zu sehen. Die PH-Wertmessung ergibt einen Wert von fast 10 und das spricht eine deutliche Sprache.
Ich habe in den letzten Tagen trotz dieser widrigen Umstände …
viel Zeit am Wasser verbracht. Nicht nur zum Fischen, sondern viel mehr zum Beobachten und Verstehen. Ich frage mich „was passiert da nun genau unter Wasser?“ Der fehlende Niederschlag gepaart mit den dauerhaften und für diese Jahreszeit viel zu warmen Tagestemperaturen hat den Sauerstoffgehalt des Wasser stark vermindert. Die Braunalgenblüte ist ebenfalls ein Sauerstofffresser und mir wird sehr schnell klar, die Fische bekommen keine Luft. Sie leiden unter Atemnot. Am schlimmsten ist das sicherlich dort, wo die meisten Braunalgen sind, nämlich in Grundnähe.
Wenn meine Vermutung stimmt, sollten in extrem flachen und zugleich schnell fließenden Flussabschnitten die zur Zeit besten Lebensbedingungen herrschen. Ich habe genau solch eine Stelle aufgesucht und ich traue meinen Augen nicht. Ringe an der Wasseroberfläche immer und immer wieder. Sie sind hier. Ich setzte mich einfach ins Gras und schaue dem Treiben zu. Ständig zeigen sich Ringe und auf einmal gibt es schräg hinter mir einen lauten Schwall. Meine Blicke kommen zu spät und ich kann nur noch sehen, wie eine große Welle langsam verebbt. Es dauert nicht lange und eine stattliche Bachforelle schnappt sich eine auf der Wasseroberfläche treibende Eintagsfliege und beschert sich somit eine leckere Mahlzeit.
Die Forelle benötigt sauerstoffreiches Wasser und wenn dieser Fisch hier auch noch genüsslich die Fliegen von der Oberfläche pflückt, dann fressen hier garantiert auch andere Fische und ganz sicher auch der Silure !!!???
Somit habe ich einen Plan …
und dieser sollte direkt am darauffolgenden Tag umgesetzt werden. Es bedarf keiner großen Überredungskünste um meinen Clanbruder Patrick davon zu überzeugen, dass wir genau an dieser Stelle fischen müssen und wir verabreden uns für den nächsten Tag. Das Gute ist, dass die von mir anvisierte Stelle nur mit dem Boot zu erreichen ist und aus diesem Grund herrscht hier nahezu kein Befischungsdruck. Besser kann es eigentlich nicht sein.
Am Wasser beladen wir schnell unsere Boote und schon nach kurzer Zeit stechen wir „in See“ in Richtung Angelplatz. Dort angekommen fragt mich Patrick, ob das wirklich mein Ernst ist. Das Wasser ist hier gerade mal knietief und zugegeben, würden mir die Beobachtungen vom Vortag fehlen, wäre mein Gefühl auch wesentlich schlechter. Somit kann ich seine Einwände nachvollziehen aber bereits nach kurzer Zeit zeigen sich wieder Fische an der Oberfläche und das spielt meiner Überzeugungsarbeit natürlich in die Karten. Wir besprechen kurz die Vorgehensweise und ich bin wirklich sehr guter Dinge, dass hier was geht. Wir entscheiden uns für Grundmontagen, denn diese sind für diesen flachen und strömungsreichen Abschnitt bestens geeignet.
Zuerst legen wir Patricks Montagen aus und danach meine …
Das geht alles zügig von der Hand und das Ganze dauert keine halbe Stunde. Ich habe gerade das Boot verankert und greife zu meinen Glöckchen, um diese an meine Ruten zu heften, als uns ein anderes Glöckchen mitteilt, dass da jemand Hunger hat. Diese Glocke befindet sich an der Rute von Patrick. Nach kurzer Pause schnellt diese zurück und wird sofort wieder kraftvoll nach unten gerissen. Im gleichen Moment klatscht ein massiger Wallerschwanz wütend auf die Wasseroberfläche und lässt keinen Zweifel daran zu, dass er hängt. In der Strömung liefert dieser Fische einen tollen Drill und Patrick kann ihn nicht davon abhalten auch noch durch seine andere Montage zu schwimmen.
Somit kommt dann irgendwann ein mit Schnüren und Haken gespickter Waller in Ufernähe und wenn ich ehrlich bin, habe ich überhaupt keinen Bock, diesen zu greifen. Aber was muss, das muss. Ich berühre ihn kurz und der Fisch zeigt keine Reaktion. Der Haken sitzt sicher im Maulwinkel. Ich greife zu. Jetzt bloß nicht loslassen, egal was passiert. Wenn der jetzt anfängt zu schlagen, reiße ich mir die freien Haken in meinen Arm und das würde diesen erfolgreichen Angeltag viel zu schnell beenden.
Aber alles geht gut und nach einem haltlosen Freudenausbruch bei Patrick, der mir wild um den Hals fällt, kann ich dann endlich auch meine Ruten mit Glocke versehen, denn ich habe da so eine Vorahnung.
Die nächsten Minuten verbringt Patrick damit …
seine Ruten neu zu montieren und ich finde Zeit mich in meinem Stuhl zurückzulegen und wortlos beobachte ich das Treiben am Wasser. Im Zuge der Dämmerung zeigen sich immer mehr Fische. Überall sind Ringe und es platscht und schmatzt aus allen Richtungen. Man weiß eigentlich gar nicht wo man hinschauen soll. Erst als es ganz dunkel ist, endet dieses faszinierende Spektakel.
Weil wir beide ja am nächsten Tag arbeiten müssen, legen wir uns gegen 23 Uhr in unseren Schlafsack. Es ist eine sehr laue, fast schwüle Nacht mit bedecktem Himmel. Es dauert überhaupt nicht lange und ich schlafe zufrieden über den Fangerfolg ein. Mein Plan ist aufgegangen und das ist eine sehr wertvolle Erfahrung.
Soweit ich mich jetzt noch erinnern kann …
habe ich in dieser Nacht gar nix geträumt und ich hätte auch überhaupt nix dagegen gehabt, durchschlafen zu können. Aber zum schlafen gehe ich nicht fischen. Irgendwann schrecke ich auf – das war ein Glöckchen. Ich setze mich auf den Rand meiner Liege und überlege gerade, ob ich das nur geträumt habe. In diesem Moment sehe ich das langsame Nachzittern meiner linken Rute. Sofort stehe ich auf und gehe zur Rute. Aber es passiert nix.
Die Schnur hat Spannung und alles ist ruhig. War vielleicht eine Fledermaus. Nach ein paar Minuten will ich gerade zurück zu meinem Bett gehen, als es erneut klingelt. Die Rute schlägt nach unten und ich schlage sofort an. Ein guter Fisch tobt da draußen und nimmt Schnur flussauf. Nach kurzer Zeit steht Patrick, bewaffnet mit seiner Kopflampe neben mir und beobachtet ungläubig das Treiben.
Auf einmal bemerke ich ein Gefühl …
dass mir in diesem Moment kein gutes Gefühl gibt. Die Schnur kracht über Holz. Der Fisch sitzt fest. Er ist durch einen ufernahen Baum geschwommen und es geht nicht mehr vor und nicht mehr zurück. So ein Mist. Patrick geht ins Boot und fährt flussauf zu meinem Fisch. Ich halte die Schnur stramm und noch bevor Patrick dort angekommen ist, merke ich zum Glück wieder konstanten Zug am anderen Ende der Schnur.
Der Fisch ist wieder frei. Nun tobt er flussab und ich bin wirklich sehr verwundert über so viel Power trotz des warmen und sauerstoffarmen Wassers. Irgendwann gelingt es Patrick, der ihm mit dem Boot hinterher gefahren war, ihn zu greifen. Was eine Aufregung. Aber zum Glück haben wir den Kampf gewonnen.
Wir sind jetzt beide hell wach …
Es ist halb zwei und wir setzen uns noch ein paar Minuten zusammen und teilen uns unser letztes Bier. Ich bin so froh. Bei diesen Bedingungen zwei gute Fische in einer Nacht zu fangen bedeutet mir sehr viel. Irgendwann falle ich dann doch in einen kurzen aber tiefen Schlaf und werde erst wach, als mir der Wecker mitteilt, dass es Zeit zum Aufstehen ist.
Ich gehe zu Patrick und will ihn wecken …
Er liegt da, mit geöffneten Augen. „Ah, du bist schon wach!?“ „Nein, ich bin NOCH wach. Ich habe keine Minute geschlafen. Das was da heute Nacht passiert ist, hat mich so sehr unter Strom gesetzt, dass ich einfach nicht zur Ruhe kommen konnte. Ich hätte mit so etwas nie gerechnet. Ich habe auf meinem I-Phone Solitär gespielt!!!???“