La Tour Difficile … von Johannes Martin
Kurz nach 5 Uhr morgens …
Mit dem Boot im Schlepptau bewegten wir uns Kilometer für Kilometer in Richtung unseres Zielortes. Das Geräusch der klackernden Sauerstoffpumpe nahmen Bodo und ich schon gar nicht mehr wahr. Der Fußraum füllte sich langsam aber sicher mit leeren „Monster“-Dosen und aus den Boxen erklang seit einigen Stunden die „Gutwettermusik“ von den Volbeat-Jungs.
Wir waren unterwegs zu einem der entlegendsten Winkel Frankreichs, wo wir eine Woche lang einen Fluss erkunden wollten, der uns schon seit über einem Jahr beschäftigte. Was uns dabei erwarten würde, konnten wir lediglich erahnen. Nach zwei Kilometern den rechten Spuren folgen und von der Autobahn abfahren, warf die einzige Frau an Bord in den Raum und wir beschlossen ihrer Aufforderung nachzukommen. Eine mit Schlaglöchern übersäte Landstraße führte uns immer näher ans Ziel heran. Plötzlich zeigte sich auf dem Navi ein breiter, blauer Bogen, der Fluss! Minuten später standen wir am Ufer. In die Morgendämmerung mischten sich Geräusche von raubenden Fischen. „War das ein … !? Hmm … könnte sein …“ Trotz dieses genialen Anblicks bekamen wir das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht stimmte.
Die Slipstelle schien wegen des ungünstig niedrigen Wasserstandes …
nicht benutzbar zu sein. Der in der Ferne stehende Brückenpfeiler war ca. zwei Meter über der Wasseroberfläche, durch Algenbewuchs, dunkel eingefärbt. „Sollte hier etwa…?“ Ein alter Fischer, dem wir anpackten, da ihm der Wasserstand ebenfalls Probleme beim Slippen seiner Nussschale machte, brachte uns dann die Gewissheit. Das Meer demonstrierte uns hier seine ungeheuerliche Kraft und zog, so wusste der Fischer zu berichten, alle acht Stunden das Wasser des Flusses zu sich, um es weitere acht Stunden später wieder zurückkehren zu lassen.
Wir bedankten uns bei dem alten Franzosen, bevor der seine tägliche Tour begann und mit seinem Boot in der Ferne verschwand. Die Nachricht über den vorhandenen Tiden-Rhythmus brachte uns ins Grübeln. Bei einem ordentlichen Frühstück wollten wir die Sache sacken lassen, um dann einen Plan, angepasst an die unerwarteten Gegebenheiten, zu schmieden. Was auf jeden Fall klar war, wir würden nicht auf das Wasser warten! Dadurch, dass wir zusätzlich zu Bodos „Schiffchen“ noch ein Schlauchboot mit 5 PS-Außenborder im Gepäck hatten, waren wir flexibel und konnten immer und überall aufs Wasser, was in dieser Situation natürlich wie ein Ass im Ärmel war.
Das Unheil nahm seinen Lauf …
Während sich die Sonne langsam in Richtung Höchststand vorarbeitete, bauten wir das Schlauchboot auf. Nach wenigen Minuten waren wir startklar und konnten zum ersten „Lot-Gang“ aufbrechen, dachten wir… Doch der Motor machte uns einen Strich durch unsere Rechnung. Was wir auch versuchten, wir bekamen die Mühle nicht zum Laufen. Unglaublich, schließlich war das Ding eine Woche vorher noch tadellos gelaufen! Mittlerweile brannte die Sonne brutal auf uns herab und realisierten so langsam, dass wir wohl ohne den Motor planen mussten. Das hieß, wir mussten doch auf das große Boot setzen und das wiederum bedeutete, dass wir doch auf das Wasser warten mussten. Da wir allerdings noch zwei Paddel dabei hatten nutzten wir die Zeit, um Steine vom gegenüberliegenden Ufer zu holen und diese zu präparieren. Was man hat, das hat man!
Als ich den letzten Stein schnürte, befand sich der Wasserstand wieder an seinem Scheitelpunkt und eröffnete uns so ein Zeitfenster von acht Stunden, um einen Platz zu finden, bevor das Wasser wieder verschwinden würde. Schnell war das Boot im Wasser und beladen, fehlten nur noch die Köderfische…
Beim Raushieven des Setzkeschers traf uns jedoch der Schlag! Der Kescher hatte im unteren Bereich ein Loch und zu unserem Entsetzen waren von den 47 quicklebendigen Karpfen noch drei Fische übrig!!!“Das darf doch nicht wahr sein! Wir haben das Netz doch extra vorher noch kontrolliert!?!?“ Irgendwie musste sich das Netz an den Steinen der Steinpackung aufgescheuert haben, wir können es uns bis heute nicht erklären. Fakt war, die Pannenserie ging weiter: Erst ging der Motor hops und jetzt waren bis auf drei scheinbar nicht ganz so schlaue Karpfen alle Köderfische weg!!
Aber Jammern hilft nix … „Mund abputzen“ und weitermachen!
Nach einigem Suchen fanden wir einen Platz für die erste Nacht, errichteten das Camp und ließen zum ersten Mal an diesem unbekannten Fluss unsere Montagen ab. „Plopp, plopp“ mit diesem Geräusch durchdrangen unsere Futterkörbe in der Dämmerung die Wasseroberfläche, schließlich sollten schnellstmöglich Ersatzköderfische her. Doch wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nicht der geringste Zupfer war zu vernehmen, bis wir uns, nachdem die Sonne gänzlich verschwunden war, auf unsere Liegen verzogen. „Aha, Mücken gibt’s hier also auch, Gott sei Dank!“, freute sich Bodo sarkastisch, bevor wir uns noch ein Tagesabschlussbier gönnten.
Irgendwann mitten in der Nacht Harndrang!
Während ich mich erleichterte blickte ich auf die immer noch regungslos im Rutenhalter verharrenden Stecken. Nicht ein einziges Mal hatte sich nach dem Ausbringen etwas gemuckst … Mitten in meiner Einschlafphase rappelte urplötzlich eine wild ausschlagende Aalglocke, Bodo setzte den Anhieb und beförderte nach kurzem Drill einen kleinen und sehr schmalen Wels in meine Reichweite, sodass ich ihn greifen und auf die Plane ziehen konnte. Erleichtert klatschten wir ab und freuten uns über den ersten Fisch bei unserem Trip ins Unbekannte, der trotz seiner eher schmächtigen Ausmaße die bisherigen Rückschläge für einige Sekunden vergessen ließ.
Am darauffolgenden Morgen wurden wir von einem heftigen Grummeln geweckt – ein Gewitter lag in der Luft. Hinter den Picker-Ruten sitzend besprachen wir die weitere Vorgehensweise. Der mittlerweile auf zwei Carps geschrumpfte Köfivorrat und die ausbleibenden Bisse auf den Friedfischruten brachten uns zu dem Entschluss den Platz zu wechseln und einen Streckenabschnitt zu suchen, wo die Gezeiten an Wirkung verlieren. „Es bleibt uns echt nichts erspart bei dieser Tour, das darf nicht wahr sein“, murmelte Bodo vor sich hin, als sich die Gewitterwolken auf halben Weg zur Slipstelle über uns öffneten und erbsengroße Hagelkörner auf uns runterprasselten. „Hätten wir noch ‚ne Stunde gewartet, hätt’ s erst dann angefangen“, entgegnete ich ihm und wir mussten beide herzhaft lachen – Galgenhumor!!!
Zwei Stunden später hatten wir das Boot …
an einem neuen Streckenabschnitt zu Wasser gelassen und waren auf der Suche nach einem geeigneten Platz für die Nacht. Hier waren die Einwirkungen des Meeres fast nicht mehr zu spüren, jedoch enttäuschten uns diesmal die Bilder, die uns das Echolot lieferte. Die reinste Badewanne, ohne sonderlich hervorstechende, markante Abbrüche und Kanten und das kilometerweit.
Notgedrungen schlugen wir unser Camp an einer unscheinbaren Stelle auf, da wir immer noch nichts gefunden hatten, was auf einen Silure hätte hoffen lassen. Zu unserer Überraschung brachte aber genau dieser Platz zwei Bisse, wovon Bodo einen in einen kampfstarken Waller ummünzen konnte. Am nächsten Tag fanden wir uns auf dem Boot wieder. Unter uns entfaltete das Grundfutter seit Stunden sein Aroma, aber die Fische straften uns mit Ignoranz. Nicht der zaghafteste Zupfer. Nichts, null, nada, niente … Während ich so auf die Spitze starrte, begann ich Löcher in die Luft zu gucken und schweifte in Gedanken davon:
War das, was wir hier gerade taten wirklich das Richtige? Der Köderfischvorrat war nun völlig erschöpft und den 1,5 Litern Nacktschnecken, die wir am Vormittag als letzten Strohhalm in der Not gesammelt hatten (ich kann euch sagen, es gibt schönere Dinge, wie gesagt ich „liebe“ diese Tiere) vertraute ich auch „eher weniger“, uns mal gelinde auszudrücken. War es der richtige Weg stur an einem Plan festzuhalten, nur weil man der Niederlage nicht ins Auge blicken wollte?
Fassen wir mal zusammen:
Gestartet sind wir mit zwei Booten, zwei Motoren und 50 Köderfischen. Nun, nach dem erst dritten Tag war der Motor des Schlauchis kaputt, alle Köder weg und es gab keine Aussicht auf Besserung. Auch die Zeit tickte unaufhörlich gegen uns. Es musste also eine Lösung her. Mit den gegebenen Möglichkeiten musste es doch irgendwie, irgendwo möglich sein einen Wels zu fangen!? Irgendwo ganz sicher…
Auf einmal begann sich ein Gewässer in meine Überlegungen zu drängen, das ich von vergangenen Trips ganz gut kannte und wo mit unseren jetzigen Mitteln sicher etwas zu bewegen wäre. Allerdings wären es bis dorthin wieder 400km, eine Nacht würden wir also auf alle Fälle verlieren, hätten aber dafür den Rest der Woche, um den Siluren effektiv nachzustellen. Keine Frage, das war die Lösung! Bodo fing lauthals an zu lachen, als ich ihn in den Plan einweihte, ließ die Mundwinkel aber dann relativ schnell fallen, als ich ihm versicherte, dass dies mein voller Ernst war. „Jo, komm, was soll’s, bei dieser Tour ist eh alles anders“, flachste er, als er grinsend und kopfschüttelnd begann sein Zelt abzubauen.
Der Weg zurück zur Autobahn führte uns über einige enge Straßen …
und zahlreiche heftige Anstiege. An einem dieser Steigungen folgte dann der nächste Schock: Weißer Rauch drang aus der Motorhaube! Glücklicherweise war genau an dieser Stelle eine Nothaltebucht wo wir anhalten und nachsehen konnten was passiert war. Eine Dichtung am Kühler hatte den Löffel abgegeben und das Wasser sprühte nun auf die heiße Umgebung im Motorraum. Hatten wir bisher jeden Rückschlag mit Ironie und Sarkasmus hingenommen, machten sich nun erste ernsthafte Zweifel breit ob unsere Vorhaben diesmal zum Scheitern verurteilt waren.
Ein kurzes Telefonat mit Ruppi brachte dann aber wieder Hoffnung. Weiterfahren konnten wir, mussten eben nur darauf achten, dass immer genug Wasser im Umlauf war. Was hinten rauskommt muss vorne eben erstmal rein. Mittlerweile war es Nacht geworden und die Hälfte der Strecke geschafft. Da die Motortemperatur gerade ziemlich anstieg und der letzte „Water-Stop“ schon etwas länger her war fuhren wir den nächsten Rastplatz an. In dem Moment, als wir die Motorhaube aufklappten…der Supergau!! Mit einem lauten „Pfffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffff“, riss der Kühlerschlauch und das Wasser spritzte in alle Himmelsrichtungen.
Wortlos ließ Bodo die Klappe fallen, sollte es das jetzt gewesen sein!?
Zuerst der Außenborder, dann die Köderfische, dann die Dichtung und nun der Kühlerschlauch! Alles schien sich gegen uns verschworen zu haben, denn selbst Handyempfang war an diesem verlassenen Rastplatz ein Fremdwort. Resignation machte sich breit. Es konnte doch nicht sein, dass wir diesmal nur in die Sch… griffen oder!? Wie Kaugummi klebte uns das Pech an den Sohlen. Uns blieb nun nichts anderes übrig, als die Nacht abzuwarten und am nächsten Morgen auf Hilfe von Passanten zu hoffen. Mit dem Schicksal hadernd ratzten wir irgendwann weg.
„Klung“, rastete die Motorhaube ein und riss mich aus dem Schlaf. Es war früh am Morgen und Bodo stand glücklich dreinschauend vor der Karre: “Ich hab Panzertape im Kofferraum gefunden, jetzt bin ich mal gespannt!“ Und tatsächlich, es funktionierte! Das Leck war abgedichtet und so rollten wir wenig später weiter, das Ziel wieder klar vor Augen. Was für ein super Morgen!
Gegen Mittag erreichten wir den Fluss …
Dort angekommen verließ uns das Glück aber so schnell wieder, wie es gekommen war. Weit und breit war keine Slipstelle zu finden, sodass wir gezwungen waren einmal mehr auf unsre Schlauchi zurückzugreifen. Dieses war schnell beladen und da unser Motor ja bekanntlich nicht mehr wollte hieß es: Paddeln, paddeln, paddeln… Ca. 800-900m trennten uns von unserem Angelplatz und natürlich mussten wir, wie sollte es auch anders sein, gegen die Strömung. Zähneknirschend meisterten wir auch diese Hürde, welche nun wirklich die Letzte gewesen zu sein schien, denn ab dem Zeitpunkt wo wir an unsrem angepeilten Platz angelangten, wurde die Tour so, wie man sich einen gelungenen Angel-Trip vorstellt.
Die Köderfische bissen wie verrückt …
die Waller attackierten unsre Brassen und Güstern aggressiv und langsam stellte sich eine Regelmäßigkeit bei den Fängen ein. Das Wetter passte ebenfalls und so konnte man bei ‘nem Becher Rotwein-Cola, ‘nem Glas Oliven und frisch gebrutzeltem Fleisch schon fast von Entspannung reden.
Das Beste, kam diesmal allerdings nicht zum Schluss, sondern schon in der zweiten Nacht. Nachdem Bodo in einem fulminanten Bootsdrill einen stattlichen Fisch bändigen konnte und sich so für die ganzen Mühen entschädigte, krümmte sich einige Stunden später eine meiner Ruten, die nahe eines Seerosenfeldes abgelegt war. Eine Kante von 2,5m auf 6m entpuppte sich als das „Deadarea“ für die Güster und ihr Henker zerrte nun kräftig in Richtung Grund. Die Zeit erwies sich aber als mein Verbündeter und half mir dabei, einige Augenblicke später einen schönen Fisch auf die im Boot ausgebreitete Plane rutschen zu lassen. „Wow! Ein schöner Kerl, etwa die Größe wie Bodos Fisch von vorhin“, war ich mir sicher und paddelte zurück zum Lager, wo Bodo bereits wartete.
Und? ein Guter? … Joa, wie deiner so ungefähr …
Der Fisch lag nun gestreckt auf der Matte, wir setzten das Maßband an und es wurde immer länger und länger…je länger es wurde desto weiter öffneten sich unsere Augen. „Bodo der hat … der hat … hast du vorne richtig? Das kann doch nicht sein!? Bodo der hat zwei Meter, zwei Meter, zwei Meeeeeter! Jawooooll!!!“
Ich glaube ich hatte mich bis dato noch nie so verschätzt, war aber ehrlich gesagt auch noch nie so froh darüber! Kaputte Motoren, geflüchtete Köfis, geplatzte Schläuche … alles egal! Vor uns lag ein Fisch der uns für all das entschädigte und all die Rückschläge vergessen machte! Megageil!
Darauf gönnten wir uns, nachdem der Fisch versorgt war …
einen kräftigen Schluck Traubensaft und eine Zigarre, die für die Stunde des Siegers immer einen festen Platz in meiner Tasche hat. Nun hatte sich doch noch alles zum Guten gewendet und wir genossen diesen Moment genauso intensiv, wie wir uns in den Momenten der Tiefschläge geärgert hatten.
In den nächsten Tagen ließen es die Welse ruhiger angehen und in den letzten beiden Nächten bekamen wir nicht mal mehr einen Biss. Aber ganz ehrlich, diesmal war es uns egal! Normal hätten wir erneut den Platz wechseln müssen um am Fisch zu bleiben, aber beim Blick auf die Paddel und den Gedanken an die vergangenen Ereignisse zerschlugen wir diese Gedankengänge ganz schnell.
Bei dieser Tour war eben alles anders …
So verstrich die Zeit und der Tag der Abreise war gekommen. Nach fünf Stunden Fahrt mit vielen Wasser-Pausen und bangen Momenten liefen wir in Bodos Einfahrt ein und beendeten so einen Trip, der besonderen Art. Knapp 2000km, davon fast 1000 mit kaputtem Kühlerschlauch, ein undichtes Ventil, 44 geflüchtete Köderfische, ein defekter Bootsmotor, aber auch einige schöne Fische und Erlebnisse, waren das Resume.