Tage wie dieser … von Johannes Martin

Es ist dieser Fisch …

Der Fisch, der mir bei all meinen Aktivitäten immer im Hinterkopf umherschwirrt. Er entfacht das Feuer auch an Tagen, an denen die Motivation völlig fehlt, sodass man selbst beim größten Sauwetter und noch so schlechten Bedingungen das Boot sattelt, die Köfis einlädt und den Weg ans Wasser sucht. Es ist ein Fisch, der mit seinen Ausmaßen die „magische Grenze“ knackt. Ein Fisch, der sich irgendwo in meinem Hausgewässer versteckt hält und die „2“ vorm Komma trägt.

Er hat ein großes Maul, lange Barteln, einen dicken, press gefüllten Bauch und einen Flossensaum, der so hoch ist, dass sich Eddie dahinter verstecken könnte. Gefärbt ist dieser Fisch pechschwarz und vermittelt mit seinem Erscheinungsbild einen schier unbezwingbaren Gegner. Was diesen einen Fisch, aber besonders von den anderen unterscheidet ist die Mystik, die ihn umgibt.

Ich habe es genau vor meinem geistigen Auge, wie er da, verschanzt in seinem Unterholz verweilt und überlegen sein breites Maul immer wieder öffnet und dann wieder schließt, um sich Wasser in die Kiemenbögen zu pressen und seinen massigen Körper so mit Sauerstoff zu versorgen. Aber wo befindet sich diese Wallerburg? Existiert sie nur in meinen Träumen oder gibt es sie wirklich? Hatte ich sie vielleicht sogar schon mal befischt?

War es damals der falsche Zeitpunkt, oder nur der falsche Köder, oder stimmte beides und es lag einfach am fehlenden Appetit des Silures? Oder hatte ich den Flossenträger bisher doch nur einfach nicht gefunden ??? Fragen über Fragen, die im Zusammenspiel mit dem bereits beschriebenen Kopfkino diese Mystik entstehen ließen. Doch genauso exakt wie die Vorstellungen von diesem Traumfisch sind, so realitätsfremd und weit entfernt vom Möglichen scheinen sie zu sein. Irgendwann, irgendwo kommt er bestimmt …. oder doch schon beim nächsten Ansitz!? NIEMALS!!!

 Jetzt noch zum Wetter …

“Sonne, Sonne, Sonne, Temperaturen bis 26°C und von Regen weit und breit nix zu sehen, macht euch nen schönen Samstag“; klingt es aus dem kleinen Badezimmerradio als ich mir den letzten Schlaf aus den Augen wasche und im Spiegel vor mir nen grinsenden Hannes sehe. Kein Wunder, denn in wenigen Stunden sollte es ans Wasser gehen. Die Köfis sind top, das Wetter ist top, die Laune ist top … alles ist top! Es ist elf Uhr und gegen 12 wollen Sven und Eddie bei mir eintrudeln, damit wir gemeinsam in Richtung Silure aufbrechen können. „Goooooil, Sommerfischen ist angesagt“, denke ich mir als ich kurz darauf das Futteral, die Liege und die Rutenhalter in die Einfahrt placke.

Pünktlich wie immer läuft Sven bei mir ein. Nach kurzer Begrüßung und dem Verstauen meines Tackles geht’s direkt weiter Richtung Waaaaaasser. Aber heute ist es irgendwie anders als sonst. Da es im Moment im Bezug auf anstehende Projekte einiges zu besprechen gibt, beschäftigen wir uns mit diesen Themen, anstatt uns wie sonst mit Taktik und Strategiefragen für den Abend zu befassen.

Am Platz angekommen …

bleibt das Ganze total entspannt. Eine kurze Ausfahrt mit dem Boot, Besprechung der Vorgehensweise, schnelles, schmerzloses Ausbringen der Ruten und schon finden wir uns auf unseren Stühlen wieder. Gegen Abend gesellte sich dann noch Bemmy zu uns, der jedoch an diesem Abend nur eine Rute fischte.

Auch nun war es irgendwie alles anders als sonst. Die Gesprächsthemen befanden sich fernab unserer Lieblingsbeschäftigung und wenn mal über das Angeln gesprochen wurden dann meist nur um festzustellen, dass wir für die bevorstehende Nacht kein gutes Gefühl hatten.

Im Prinzip, war die Session schon abgehakt, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Wir genossen das Sommerfeeling und wollten fischmäßig mitnehmen was eben ging … ganz locker und relaxt eben. Stress war ein Fremdwort.

Langsam wird es kalt …

Ich krame in meiner Tasche und ziehe die Fleece-Weste aus dem Durcheinander. „Seltsamer Sommer“, denke ich als ich abermals skeptisch gen Rutenspitzen blicke. Ein leises Klingeln. Unsere Blicke suchen hektisch alle Rutenspitzen ab, aber alles scheint normal. Oder doch nicht? Svens „Rechtsaußen“ geht langsam in die Knie, bevor Sven anschlagen kann geht der Waller schon voll in die Bremse, so dass unser Pädagoge Probleme hat, die Nazgul aus dem Halter zu bekommen und anzuschlagen.

Der Fisch nimmt sofort Fahrt auf und lässt die Penn so kreischen wie wohl jeder Welsangler es kennt und liebt. Gleich darauf folgt das Gefühl, das ebenfalls jeder Welsangler kennt … Enttäuschung. Die Rute entspannt sich schlagartig und Sven bestätigt mit seinem „AB!!!“ das, was wir alle befürchtet hatten. Der Fisch war ausgestiegen.

Stille …

Resigniert und wortlos binde ich den neuen Stein und Sven macht sich einen neuen Köderfisch startklar. Einige Minuten Gepaddel und schon sitzen wir wieder auf unseren Stühlen. Mittlerweile ist es komplett dunkel. In die Diskussion, warum wir den Silure nicht bekommen haben platzt der nächste Biss, wieder bei Sven. Der Drill ist knüppelhart, denn Strömung und Fisch erweisen sich als gutes Team um Sven alles abzuverlangen.

Ich seile mich die Böschung hinunter ab und gehe im Boot in Position. Die Disteln und Dornensträucher, die noch aus dem plattgetretenen Uferbewuchs rausstechen, zerkratzen meine Füße. Sommerzeit ist Barfußzeit … jetzt bereue ich es.

„Da kommt er“, höre ich Sven schnaufen, als sich mir ein mit Kraut bedeckter Schädel entgegen schiebt. Ich greife ins Vorfach und befreie den Kopf nach und nach von dem Gemüse. Der freihängende Drilling, die Strömung und der noch nicht ausgedrillte Fisch machen dies nicht unbedingt einfacher, doch wenig später kann ich den Fisch am Unterkiefer packen und ihn, samt den noch an ihm hängenden Krautmassen, ins Boot ziehen … „JJJJJJJJJJJJJJJJJa! SVEN!! GEIL!!!“

Ein großer, wahnsinnig schön gefärbter Wels teilt sich mit mir, die Abhakplane, den Hakenlöser, das Wallerseil, einige Liter Wasser und einen großen Berg Kraut im Innenraum des kleinen 2m-Schlauchis. Auch Sven ist aus dem Häuschen. Ich versorge den gebartelten Freund, klettere die Böschung hinauf und klatsche zufrieden mit meinem Angelpartner ab. ENDGEIL!!!

Die Neuausfahrt der gefallenen Montage …

ging diesmal mit deutlich mehr Motivation von der Hand. „Boar geil, vielleicht ist ja heut doch nicht alles sooo schlecht“, flachsen wir nach getaner Arbeit beim gemütlichen Wallerbier. Die Nacht verläuft jedoch ruhig, Im Morgengrauen werde ich geweckt. War das ein Glöckchen? Hmm … übermüdet blicke ich auf die Nebelschwaden, die über dem Wasser liegen und muss erst mal zuordnen wo ich hier überhaupt gerade bin. Ahja, richtig…Fischen…guuut!

Alles ist klamm und keine der Rutenspitzen weist auf irgendeine Weise auf einen Biss hin. Meine Augen fallen wieder zu. Wieder klingelt es kurz. Augen auf! Und diesmal verrät sich der Räuber. Die Rutenspitze geht nach vorne und kommt wieder zurück. Das Ganze aber so langsam und in kurzen Intervallen, dass es einen erfolgreichen Anhieb unmöglich macht. Ich knie mich hinter den Stecken und warte einige Augenblicke ab. Plötzlich ruckt die Rute etwas entschlossener nach vorne als sonst und ich schaffe es meinen Anhieb genau so zu setzen, dass die Greifer das tun was sie sollen – greifen!

Ca. 130cm hat der Silure. „Passt! Is doch noch alles gut geworden!“, gähnt Sven als wir uns noch einmal in dem Schlafsäcken verkriechen um noch ein oder zwei Stündchen Augenpflege zu machen. Gegen 8 Uhr ist die Nacht dann aber endgültig vorbei. Die Sonne knallt schon voll auf uns herab und macht ein Weiterpennen unmöglich. Viel zu heiß …

„Joa, machen wir noch schön Fotos …

packen gemütlich ein und fahren frühstücken“; schlage ich Sven vor, der das nickend bejaht. „Denkste es kommt noch‘ n Biss?“, will Sven wissen. „Hmm naja, also in den letzten Wochen hatten wir morgens eigentlich immer Aktion“, antworte ich und zucke mit dem Schultern. Keine zwei Minuten vergehen, da knallt Svens Nazgul brutal weg. „Jouuuuuuu sitzt!!“, keucht Sven und sofort ist klar, dass da wieder ein guter Fisch am Band ist.

Und dieser kämpft noch viel härter als der, den wir einige Stunden zuvor gefangen hatten. Um‘ s mal vorne weg zu nehmen, Sven redete später vom geilsten Wallerdrill den er je hatte….unzählige Male schoss der Silure, mit der Strömung im Rücken davon. Für jeden gewonnenen Meter Schnur, quälte der Fisch wieder zwei von der Rolle.

 „Wahnsinn!!! Sollte das…? Ach Quatsch!! … oder vielleicht doch!?!?!“, geistert es mir durch die Hirnwindungen während mein Freund mit allem was er hat in der Rute liegt und kämpft. Die Sekunden vergehen wie Stunden. Irgendwann scheint der Fisch ermüdet zu sein und lässt sich geplättet gegen die Strömung pumpen. Sven gewinnt Meter um Meter bis das Kraftpaket erneut explodiert und die Arbeit der letzten Minuten egalisiert. Die 950er schreit wieder ihr geniales Lied und wirkt für uns beide wie ein Signal…“JA, DAS IST ER!!!.“

Ich verspüre innere Unruhe …

Fast schon Nervosität, jetzt bloß keinen Fehler machen! Der Wels befindet sich nun genau unter dem Boot, ich sehe das Vorfach und….da ist er, dreht sich und hebelt mir mit seinem Schwanz eine fette Ladung Wasser in die Visage.

GUTEN MORGEN!!!! „Jawoll Sven, das isser, das isser, Sven, das isser!!!!“
Nun schiebt sich der Kopf genau vor mich. Der Einzelhaken hängt sauber im Maulwinkel. Der Klaps auf den Kopf – keine Reaktion! Finger in die Kauleiste, linke Hand hinterher, ich zieeeeeeehe uuuuuund begrabe mich unter dem Silure.

„JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!“, bricht es unkontrolliert aus mir heraus, das ist der Moment. DER verdammte Moment. Und vor allem DER FISCH!!!

„Sven ich halt‘ s net aus, was ist hier los!?!?!?!“, komme ich aus dem Lachen und ungläubigen Kopfschütteln nicht mehr raus. Sven klettert runter zu mir ans Boot, klatschnass fallen wir uns in die Arme. „Sven das isser!“

Der Wels liegt quer in Svens 2m-Boot …

und sein Schwanz ragt noch soweit aus dem Boot, dass die Schwanzflosse das Wasser berührt. Das muss er sein. Das Maßband bringt Sekunden später die Gewissheit-2,03m!!! Absoluter Wahnsinn!!!

Die folgenden Minuten, oder ich sage besser die folgende Stunde, inklusive Fotosession erlebe ich in einer Art Trance, die mich dazu veranlasst mich nach der Fotosession nicht sofort umzuziehen und einzupacken wie sonst, sondern noch einige Minuten alleine im Boot zu verharren und das Geschehene sacken zu lassen. Ich blicke von meinen nassen Kleidern auf meine, mit einer Masse aus Faulschlamm und Wallerschleim überzogenen Arme, auf die kaputten Hände und schließlich auf den Fluss. Aber ich sehe nicht den Fluss …

Ich sehe den Weg der letzten Jahre vor mir. Die unzähligen Stunden am Wasser. Die zahlreichen, zeitintensiven Erkundungstouren, sei es zu Fuß oder mit dem Boot, Spekulationen, Vermutungen, Pläne, Testansitze, anfängliche Niederlagen, erste Erfolge, das Finden einer gewissen Konstanz was Fänge angeht, stetige Weiterentwicklung durch ständiges Lernen und „Am Ball bleiben“. Verarbeitung und das richtige Einordnen neuer Erfahrungen, Steigerung der Fänge, ein unendlicher Lernprozess, ein steiniger Weg mit Höhen und Tiefen.

Und bei jedem Schritt, jedem Tritt und jedem Handgriff war er immer dabei…der Fisch der Träume…irgendwo im Hinterkopf. Nun hatten wir ihn bezwungen. Ein ungreifbares Gefühl. Mir fiel auf, dass ich mir bisher eigentlich immer nur Gedanken darum gemacht hatte, dass der Tag wohl irgendwann kommt. Aber darüber nachgedacht was nach diesem Fisch kommt hatte ich bisher nicht, da es, wie schon gesagt eh erst irgendwann passieren würde und ohnehin eigentlich total unrealistisch schien….und doch war es nun geschehen.

Ein gewisses Ziel war also erreicht. Was nun ???

Klar, ein neues musste her und ich merkte gleich, dass mein Kopfkino rein gar nichts an Kreativität verloren hatte. „Das war nur die Spitze des Eisbergs, da ist sicher noch mehr möglich, ist ja noch Luft nach oben…!“, höre ich wieder diese, mich antreibende innere „Stimme“ auf mich einreden. Ich muss grinsen, blicke vom Wasser zurück auf meine Arme da ich spüre, dass die Sonne beginnt den Wallerschleim zu trocknen. Ich nehme den letzten, völlig kohlensäurefreien Schluck aus meiner Kaltschale, klettere die Böschung hinauf zu den beiden anderen und will eigentlich so viel sagen. Was ich rausbringe ist aber nur ein schlichtes „Wahnsinn…“.

Wir packen unsere Sachen und machen uns auf den Heimweg, die neuen Ziele klar vor Augen …

Bis zum nächsten Mal


Euer