Christmasdreams … von Johannes Martin

Wenn ihr diese Zeilen hier lest …

befindet ihr euch wahrscheinlich irgendwo zwischen Weihnachtsbraten und Silvestervorbereitungen. Draußen ist wegen der warmen Temperaturen eigentlich alles wie geschaffen für einen Ansitz. Die Regenfälle und die Schneeschmelze verleihen den Flüssen ihre braune Färbung und lassen deren Pegel über die Ufer treten. Heute ist der zweite Weihnachtsfeiertag.

Erschöpft, aber absolut sicher darüber, dass das letzte Stück Fleisch nicht mehr hätte sein müssen, liege ich auf dem Sofa und male mir aus wo ich jetzt gerade wäre, wenn der Kalender es mir nicht verbieten würde.

Ich drifte gedanklich immer weiter ab und plötzlich bin ich komplett nass. Logisch, denn ich sitze ja auch im knietiefen Wasser und lasse meine Blicke über einen der ganz großen Bäche Frankreichs schweifen. Der Geruch von Faulschlamm steigt mir in die Nase. Doch ich rieche ihn nicht nur, ich stecke mit meinen Füßen bis über die Knöchel drin. Und je mehr ich mit meiner großen Zehe darin wühle, desto mehr Blasen steigen auf und der Geruch wird intensiver. Ich blicke an mir hinunter und bemerke, dass mein T-Shirt aussieht, als hätte eine Horde Schnecken darauf Fußball gespielt.

Ich spüre ein Brennen an meinen Händen …

Sie sehen mitgenommen aus. Ich drehe meinen Kopf und blicke hinter mich. Einige Meter hinter mir sitzt Carsten. Er sieht ähnlich fertig aus. Fertig aber irgendwie auch zufrieden. Vor ihm stehen zwei Ruten im Rutenhalter, aber sie sind nicht ausgelegt. Bei einer der beiden Ruten ist der Rollenbügel offen, die Schnur locker und das Haken-System ist am ersten Rollenbügel eingehängt und total verschleimt. Bei der anderen Rute ist der Griff voller Schleim, die Schnur ebenfalls locker und das System liegt samt Köderfisch neben der Rute. Es ist eine Barbe. Sie ist tot und sieht aus, als hätte sie kürzlich die Bekanntschaft mit zwei großen Kauleisten gemacht.

Plötzlich trifft es mich wie ein Blitz …

ich weiß wo wir sind! Wir schreiben den 31.10.2011 und wir befinden uns auf unserem Halloweentrip in Südfrankreich.

Carsten und ich hatten uns spontan entschieden dieses verlängerte Wochenende zu nutzen, um in Richtung unseres Lieblingsgewässers im Süden Frankreichs aufzubrechen. Mit vollbepackter Karre, munteren „Startköderfischen“ und ‘ner dicken Portion Vorfreude im Gepäck erreichten wir unser Ziel. Das Auslegen der Montagen lief gewohnt gut und die Friedfische waren richtig in Beißlaune, sodass wir schon am ersten Abend einen guten Vorrat für die Folgetage im Setzkescher hatten.

Mit entsprechend guter Laune, verabschiedeten wir die Sonne am Horizont. Am frühen Sonntagmorgen war diese gute Laune verschwunden. Enttäuschung, Ratlosigkeit, ja fast Verzweiflung lagen nun in der Luft. Wir hatten noch keinen Fisch gefangen. Bisse jedoch hatten wir. Wir hatten die Flossenträger sogar drauf, aber fangen konnten wir sie nicht. Und das zermürbte.

Zumal alle diese Fische auf die gleiche Rute kamen und teilweise direkt nach dem Biss Schnur von der geschlossenen Rolle zerrten.

Drei Fische hatten wir in dieser Nacht so schon verloren …

und wie gesagt, es waren wahrscheinlich keine schlechten. Schlimm genug, aber das Schlimmste daran war, dass wir uns nicht erklären konnten warum. Die Haken waren messerscharf, richtig platziert und der Köderfisch, eine große Barbe, sah von Biss zu Biss schlimmer aus. Die Waller hatten die Haken also voll eingesaugt, blieben aber trotzdem nicht hängen. Wir gingen sogar so weit, dass wir den letzten Fisch erst anschlugen, als die Reißleine gesprengt war, aber auch dies half nichts – er stieg aus.

Irgendwann gegen 7 Uhr in der Früh …

wiederholte sich das Schauspiel dann zum vierten Mal. Ein ganz dezentes Anklingeln und dann eine Zeitlupenverneigung der New Age. Ich warte bis zum wirklich allerletzten Moment, reiße die Rute aus dem Halter und knalle den Anhieb voll durch. HÄNGT!

Aufgrund der extremen Gewässerstruktur müssen wir den Fisch vom Boot drillen, damit sich die Schnur nicht an der steilen Kante abscheuern kann, wenn der Silure in der Tiefe tobt. Die Kampfkraft meines Gegenübers lässt auf einen guten Fisch schließen. Etwas verwirrt zieht Carsten kurz darauf einen zwar fetten, aber „nur“ 1.64m großen Waller ins Boot. Doch irgendwie ist dieser Moment seltsam. Wir wissen nicht, ob wir uns nun in die Arme fallen sollen, weil wir gerade den ersten Tourfisch gefangen haben, oder ob wir enttäuscht sein sollen, da die verlorenen Welse wohl etwas größer waren und wir uns aufgrund des genialen Drills auch eigentlich etwas mehr versprachen … wie gesagt, eine seltsame Situation.

Um im Morgengrauen eventuell noch einen Silure haken zu können …

beeilen wir uns nun. Carsten kümmert sich um den Fisch. Ich schnappte mir in der Zeit einen neuen Köder, hake ihn an und binde die nächste Reißleine. Sekunden später sitze ich im Schlauchi und fahre in Richtung der Boje. Carsten steht mit der Rute am Ufer und gibt mir Schnur. Ich fahre wie immer recht langsam und schaue regelmäßig zum Ufer zurück, um zu sehen ob alles glatt geht.

Plötzlich strämmt sich die Schnur in meinen Händen, ich blicke zum Ufer und sehe meinen Freund mit krummer Rute kräftig pumpen. FISCH! Und Fisch bedeutet er braucht das Boot. Sofort drehe ich um und gebe Vollgas in Richtung Ufer. Carsten steht schon bis zum Bauchnabel im Schlamm. Ich erkenne dass es meine Rute ist. „Drill ihn, ich hab ja grade meinen Fisch gefangen!“, rufe ich ihm entgegen, helfe ihm beim Einsteigen und manövriere das Boot wieder aus dem Flachwasser.

Jetzt sind wir über dem Kämpfer …

und so langsam wird klar, dass dies kein Fisch der 1,60m-Klasse sein kann. Ruhig zieht der Barbencrusher in der Tiefe seine Bahn. Das Echolot zeigt über 10 Meter. Die Sekunden vergehen wie Stunden, bis plötzlich einige Blasen aufsteigen. Im smaragdgrünen Wasser entsteht ein schwarzer Schatten. Der Schatten wird zur Silhouette, dann durchbricht ein extrem massiver Wels die Oberfläche, dreht, schlägt mit dem Schwanz aufs Wasser und macht uns beide komplett nass. Wir jubeln vor Freude und ich kann die Emotionen in diesem Moment nicht in Worte fassen. Als ich den Gigant wenig später greife und wir ihn gemeinsam ins Schlauchboot wuchten, gibt’s kein Halten mehr. Unbeschreiblich, einfach unbeschreiblich. Glück, Freude, ja richtige Siegesgefühle werden frei.

Zurück am Festland legen wir unserem Fang das Maßband an …

212 cm gebündelte Kraft liegen vor uns. Wahnsinn!!! Um dem verausgabten Fisch Zeit zur Erholung zu geben, leinen wir ihn vorerst an und nutzen die Zeit für einen erneuten Versuch meine Montage in Position zu bringen. Aber auch diesmal gelingt es uns nicht !!!

Ich passiere gerade die erste Uferkante auf meinem Weg zum Spot, als ich sehe wie Carsten am Ufer erneut einen Anhieb setzt. Die Vorgänge wiederholen sich. Diesmal ist es Carstens Rute die fiel, doch nun drückt er mir seine Rute in die Hand, übernimmt den Platz am Motor und lenkt uns in die Flussmitte, bis wir direkt über dem Ungetüm sind. Ich knie in ganz vorne im Boot, die Rutenspitze taucht weit unter die Wasseroberfläche, das Boot dreht bei und stellt sich gegen die Strömung … die Rolle knirscht und wir begreifen allmählich, dass hier wieder ein Ochse am Band ist.

Ruhig aber mit einer unglaublichen Power und Entschlossenheit gibt mir der Silure Kontra. Ich halte mit allem was ich habe dagegen. Wieder vergehen die Minuten wie in Zeitlupe. Als sich am Horizont die blutrote Morgensonne, alles um uns herum in ihre rote Farbe taucht und in diesem Moment der Wels erneut einige Meter Leine von der Trommel zerrt, wissen wir, warum wir uns diese ganze Scheiße eigentlich antun.

Nach und nach bemerke ich, dass ich den Willen meines Gegners gebrochen habe …

Wieder steigen Blasen auf und mein Blei kommt zum Vorschein, direkt gefolgt von einem mächtigen Waller, der wie erstarrt in voller Länge an der Oberfläche einen Meter neben dem Boot liegt und aus dessen Maul nur noch der Schwanz unsres Köderfisches hervorragt. Wieder bricht Jubel aus. Wir können es nicht glauben. Carsten löst die Sache routiniert und mit vereinten Kräften ziehen wir den Koloss über den Schlauch.

Augenblicke später liegen die beiden dicken Welse nebeneinander vor uns im Wasser. Das Vermessen ergibt 2,28m!!! Und da es Carstens Rute war, natürlich auch einen neuen personal Best für ihn. Erleichtert, überglücklich, mit dem Gefühl, endlich belohnt worden zu sein, für die Mühen aus den vorherigen Tagen, fallen wir uns in die Arme … einfach nur geil!!!

Nachdem wir unsere beiden Freunde …

auf den SD-Karten unserer Cams gespeichert haben, sitzen wir wieder im Wasser und wieder blicken wir in die Ferne. Genießen die Eindrücke, verdauen das Erlebte und plötzlich verschwindet das Gefühl der Nässe, auch der Geruch des Faulschlamms ist verschwunden. Ich öffne meine Augen und bemerke, dass ich eingeschlafen bin.

Einige Meter neben mir steht der geschmückte Tannenbaum …

und kotzt mich bei dem Gedanken, dass ich wohl nur geträumt habe, so richtig an. Auf dem Couchtisch brummt mein Handy „Eine neue Nachricht“, sie ist von Andy: „Morgen Spinnfischen? Könnt dich um 5 abholen“. Ich grinse, gehe in den Keller und packe mein Spinnzeug. Es kann weitergehen …

„Wer träumt versäumt, wer fischt fängt – Never dreaming, just fishing“

In diesem Sinne …

Wünsche euch nen guten Rutsch ins neue und hoffentlich fischreiche, neue Jahr !

Euer