Geht doch „Einfach Angeln“ …

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Geht doch „Einfach Angeln“ …

Wenn man, so wie ich, sehr viel Zeit am Wasser verbringt, hat man dadurch natürlich auch viele Gelegenheiten, sich mit gewissen Fragen zu beschäftigen. Da ich mich durch mein anglerisches und berufliches Pensum, was immer miteinander kombiniert werden muss, regelmäßig am zeitlichen Limit bewege und ich dadurch nicht selten auch Stress empfinde, stellt sich mir immer öfter die Frage, warum ich mir diesen Stress trotzdem immer wieder gebe und warum ich mittlerweile mein ganzes Leben danach ausgerichtet habe.

Die Antwort auf diese Frage ist eigentlich ganz einfach. Egal wie viele Stunden ich mittlerweile am Wasser war, egal wie viele Fische ich fangen durfte, egal wie viele Blanknächte dabei waren, egal wie oft ich den Ar…. zerstochen bekommen habe, egal, egal, egal! Nach wie vor liebe ich den Geruch des Wassers, ich brauche den nassen Tau auf meinem Bedchaircover und die sanften Sonnenstrahlen, die mir morgens über die Wangen streifen. Der Moment, abends in der Dämmerung vor den Ruten zu sitzen, ist immer noch Adrenalin pur für mich und ich kann davon nicht genug bekommen. Obwohl das bei mir so ist, musste ich aber in der Vergangenheit lernen, dass es viele „Störfaktoren“ gibt, die uns leicht den Blick für das Wesentliche aus den Augen verlieren lassen, wenn man ihnen zu viel Beachtung schenkt. Dann drehen sich die Gedanken nämlich nur noch um sie und das blockiert und manipuliert uns mehr, als wir glauben. Egal ob Anfänger oder „Profi“, wir alle sind gefährdet.

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Ich verfolge im Netz immer mal wieder die Endlosdiskussionen um das Material. Welche Rute, Rolle etc. ist die Beste? Welche Schnur muss ich haben? Bricht die Rute von Hersteller XY im Drill? Muss ein Haken noch professionell nachgeschliffen werden, damit ich einen Wels fangen kann? Wie viel Milligramm darf ein Ausleger wiegen? Welche Form muss eine U-Pose haben? Sind 100 € für einen Auslegeeimer zu teuer? Welche Farbe sollte mein Schlauchboot haben? Ist ein GFK Boot besser als ein Aluboot?

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Ich könnte das jetzt noch bis ins Unendliche fortsetzen aber das ist nicht nötig. Ich bin der Meinung, dass wir uns viel zu sehr in dieser „Materialwahnendlosschleife“ bewegen und das kostet uns viel Zeit und leider auch viel zu viel Geld. Letztendlich sind das aber völlig unwichtige Nebensachen.

Ein anderes Beispiel. Wir sind am Wasser und in der heutigen Zeit ist es normal, dass wir auch dort immer online sind und uns durch Facebook scrollen, während wir da sitzen und auf einen Biss warten. Das ist gut oder eben auch nicht, denn dadurch bekommen wir auch mit, dass andere schon wieder fangen, obwohl an unseren Ruten nix passiert.  Fragen und Zweifel sind die Folge und das macht uns unsicher und setzt uns unter Stress. Und das Schlimme daran ist, dass es oftmals ganz unbewusst passiert.

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Auch die Diskussion um die Fischgröße ist eine „never ending story“. Ist es nur die Länge oder doch eher die Geschichte oder das persönliche Empfinden, die eine Wertschätzung für einen gefangenen Fisch entstehen lassen? Ich finde es schade, wenn wir hier immer einem Mindestmaß hinterher hetzen, das uns ja eigentlich erst mal nur von außen vorgegeben wird. Aus diesem Grund ist dann eine Session oder gar ein ganzer Trip schlecht gelaufen und führt zur Enttäuschung, wenn nicht mindestens die 2 vor dem Komma steht. Und das auch bei Kollegen, die Fische dieser Größe in ihrem Leben noch nie gesehen, geschweige denn gefangen haben. Auch das setzt uns unter Druck und entwickelt eine negative Dynamik. Besser ist es doch, wenn jeder ganz alleine für sich entscheidet, wie ein gefangener Fisch einzuordnen ist. In der heutigen Zeit ist es für uns auch sehr leicht an Informationen jeglicher Art zu kommen. Das Internet und andere Medien bedienen hier „eigentlich“ alle Fragen. Auch wir als Fachmagazin leisten sicher unseren Beitrag dazu.

Dieses Überangebot an „know how“ führt aber leider auch dazu, dass viele vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Damit meine ich, dass man schnell das Gefühl und auch das Vertrauen in Bezug auf das eigene Tun am Wasser verliert. Wer z.B. in Punkto Montagen versucht, immer alles auf dem neuesten Stand zu halten, wer einfach alles ungeprüft kopiert und dabei alles Erprobte und Bewährte ständig über den Haufen wirft, der wird das anglerische Selbstvertrauen verlieren und damit eine wichtige Säule die dafür verantwortlich ist, dass ein Angler ein erfolgreicher Angler ist. Es ist sicher gut, sich zu informieren und auch zu testen aber ich finde es dabei sehr wichtig, dass man trotzdem einen eigen, anglerischen Stil entwickelt.

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Immer wieder sehe ich Bilder, auf denen eine erstaunliche Batterie von gesetzten Ruten zu sehen ist. Wenn ich versuche durchzuzählen, komme ich nicht selten auf einen zweistelligen Wert und dabei frage ich mich immer, welcher Materialaufwand dort betrieben wurde. Ich frage mich auch, wie lange es gedauert hat, bis hier alle Ruten gesetzt waren und natürlich wie viel Unruhe am Angelplatz dadurch entstanden ist. Von der Köderfischanzahl ganz zu schweigen.

Wallerfischen funktioniert also nur, wenn wir möglichst viele Ruten ins Rennen schicken!? Der ganze Spot wird zugepflastert ohne Rücksicht auf Verluste. Ist es hier tatsächlich die Masse oder doch eher die Klasse, die uns ein besseres Ergebnis bringt. Von der gewonnenen Zeit bei weniger Ruten mal ganz abgesehen. Ich glaube, dass der Grund für so eine Vorgehensweise bei vielen auch wieder die Unsicherheit ist und natürlich bekommt man das von den Profis ja auch so gezeigt. Ihr könnt euch beruhigen, denn es geht auch mit viel weniger Ruten.

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Für einige von uns ist Wallerfischen in erster Linie der jährliche Trip ins Ausland in die benachbarten, südeuropäischen Länder. Das ist schön und die Vorfreude auf solch eine Reise lässt sich meiner Meinung nach am besten mit der Freude von Kindern auf das Weihnachtsfest vergleichen. Je näher die Reise rückt, desto angespannter werden wir und wir verlieren dabei teilweise völlig unseren Blick für unsere Umgebung und für unsere Mitmenschen. Dabei ist der Stress mit der Frau oder der Freundin schon vorprogrammiert. Habe ich genug Essen gekauft? Habe ich genug Schwimmer eingepackt? Reichen die Köderfische? Wie ist die Wetterprognose? Was macht der Wasserstand? Fragen über Fragen, die mich jetzt schon alleine beim Schreiben stressen. Viele Dinge können wir ohnehin nicht ändern und das Wetter und der Wasserstand gehören definitiv dazu. Also warum sollen wir uns im Vorfeld von einer Tour dadurch stressen lassen?

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Wenn Hannes und ich ein neues Einsteigervideo veröffentlichen, bekommen wir danach immer viele Fragen gestellt. Das ehrt uns natürlich aber es ist dabei auffallend, dass sich die meisten Fragen nicht auf die eigentliche Thematik beziehen, sondern meistens auf Dinge, die keinen großen Einfluss auf den Fangerfolg haben. Welche Rutenhalter fischt ihr? Was ist das für eine Schnur? Wo bekomme ich so einen Köderfischbehälter? Welchen Schlafsack benutzt ihr? Usw. Auch hier fehlt mir wieder der Blick für das Wesentliche.

Damit ihr mich jetzt nicht falsch versteht. Ich will hier keinem als Besserwisser seine Defizite aufzeigen. Das, was ich hier beschrieben habe, kenne ich alles nur zu gut von mir selbst. Ich habe mir ebenfalls alle diese Fragen gestellt, habe mir über alles den Kopf zerbrochen und ich habe mich dabei teilweise gefühlt, wie ein Hund, der ständig versucht sich in den Schwanz zu beißen, ohne es zu schaffen. Teilweise hat mich das daraus resultierende „Gehirngulasch“ wirklich gestresst, sicher auch manipuliert und beeinflusst aber heute kann ich sagen, dass ich viele dieser Mechanismen durchschaut habe. Und nur weil das so ist, kann ich meine Session wieder genießen. An meiner Formulierung merkt ihr aber, dass das nicht immer so war.

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Ich finde, wir sollten uns vielmehr auf das Wesentliche und die wirklich entscheidenden Dinge besinnen. Fragen wir uns doch nach einer Blanknacht lieber warum wir nix gefangen haben und geben die Schuld nicht der Rute XY. Dabei können wir ruhig auch die Scheuklappen ausfahren, um uns von außen nicht zu sehr beeinflussen zu lassen. Einen eigenen Weg zu gehen ist sicher schwerer, als sich auf ausgetretenen Pfaden zu bewegen aber die persönliche, anglerische Entwicklung wird dadurch wachsen und die Befriedigung, die man dann plötzlich erfährt, ist groß, sehr groß. Auf einmal kann man sich die Antworten auf all die oben gestellten Fragen selber geben und darum geht es. Das anglerische Vertrauen und die Fähigkeit, sich an Situation richtig anzupassen, kann einem keiner geben. Zeit am Wasser und die daraus resultierende Erfahrung sind der Schlüssel zum Erfolg. Dafür braucht man Geduld, muss sicher auch mit Rückschlägen klarkommen aber es wird funktionieren.

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Obwohl ich mittlerweile materialtechnisch bestens ausgestattet bin, gehe ich total gerne mit ganz kleinem Materialaufwand ans Wasser und ich fische auch beim stationären Wallerfischen häufig nur mit einer Rute. Versucht das mal und ihr werdet sehen, wie entspannt und stressfrei so eine „one rod session“ ist. Und ihr werdet euch wundern, wie erfolgreich sie sein kann. Manchmal ziehe ich auch nur mit der Spinn- oder Fliegenrute los oder ich besuche ohne Rute einen Freund beim Karpfenfischen. Wenn ich nicht 100% Lust für meine Wochenendsession habe, dann bleibe ich lieber zu Hause, auch das habe ich gelernt.

Das sind nun alles Dinge, die ich in den letzten Jahren für mich erkannt habe und nur weil das so ist, kann ich nach wie vor die Zeit am Wasser in vollen Zügen genießen. Mein kleines Rezept dafür ist ganz simpel … geht „Einfach Angeln“.

Ich wünsche euch viele, entspannte Stunden am Wasser!

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