Zurück in die Spur … von Johannes Martin

Ich sitze in meinem Schlauchboot …

meine Hände zittern. Ich sehe meinen Atem im Schein der Kopflampe und hänge die Reißleine in den Easy-Clip meiner Boje, während mich die braunen Wassermassen mit meinem Schlauchboot voll in die Hecken pressen, vor denen ich meinen Köder präsentieren möchte.

Es ist Mitte Dezember und ich bin gerade dabei meine Rute wieder scharf zu machen, nachdem ein Silure meinen Köfi unter die Hecke gezerrt hatte und sich nach kurzem, aber hartem Drill am Stringer erholt. Langsam spüre ich es wieder, dieses seltsame Gefühl, das mich in solchen Situationen immer wieder heimsucht. Es ist eine Mischung aus Respekt vor dem was einen gerade umgibt und die Freude an dem Reiz, der mich immer wieder raus ans Wasser treibt, um genau das zu tun, was ich hier gerade tue.

Und genau dieses Gefühl ist mir in den letzten Wochen fast gänzlich abhanden gekommen …

Schwierige Phasen in anderen Lebensbereichen hielten mich zwar nicht vom Angeln ab, beeinflussten mich aber doch so stark, dass die Abläufe am Wasser oft einfach völlig an mir vorbeigingen. Sie waren zwar wie immer die Selben, jedoch war ich mit dem Kopf stets woanders. Hinzukam, dass in diesen Wochen mein Bach ein müdes, lahmes, ja fast totes Gesicht zeigte. Sehr niedrige Pegel, Krautbänke wie im Sommer und total überhöhte Temperaturen machten es extrem schwer. Schneidertage und –nächte waren keine Seltenheit.

Ich sehe meinen Köderfisch, wie er dem Blei in die Tiefe des kaffeebraunen Wassers folgt …

“Petri Heil“, murmele ich, starte den E-Motor und kämpfe mich zurück ans Ufer. Als ich dort ankomme, hat Sven die Rute bereits mit Glöckchen versehen und das Ganze richtig schön durchgespannt. Ich sichere das Boot, gehe wortlos zur Liege, greife zwei Pils, öffne sie und drücke Sven eins davon in die Hand. Gerade will ich ihm sagen, dass ich noch gar nicht raffe was hier gerade passiert ist und dass es ja nicht sein kann, dass da jetzt drei Fische am Seil hängen, da fällt er mir ins Wort:

“Wenn wir beide fischen gehen, das is doch immer komisch oder Hannes?“ Ich gucke ihn an und sehe wie er grinst. Ich muss auch grinsen und schüttele den Kopf: “Das gibt‘s net und das nach so einem Jahr!“

Um das zu verstehen muss man wissen …

dass das gerade nicht der erste, sondern der dritte Fisch in dieser Nacht war. Und alle drei waren gut. So gut, dass einer dieser Fische sogar meinen 2011er PB für meine Heimat bedeutete. Was allerdings auch nicht unbedingt schwer war, denn ich habe, genau wie Sven ein absolutes Seuchenjahr hinter mir, wenn’s um den Alltag am heimischen Wasser geht. Viele Nächte, viele Stunden, stehen in keinem Verhältnis zu dem, was unterm Strich raus kam. Klar, ich konnte regelmäßig meine Fische fangen, jedoch waren das meist halbstarke bis kleine Genossen und wenige gute Fische.

Dies war teilweise sehr frustrierend …

denn irgendwann begann man sich komplett zu hinterfragen, stellte alles auf den Kopf und kam am Ende wieder genau dort raus wo man begonnen hatte. Und dieses Hochwasser fiel wie ein Schnitt genau in diese Phase. Ohne Mühe hatte sich der Pegel auf einen Meter über normal eingependelt, alles war überflutet, altbekannte Stellen verschwanden komplett, neue Möglichkeiten taten sich auf. Im Kehrwasser vor uns zeigten sich ständig Futterfische und die Welse daran ihren Hunger. Dazwischen warteten unsere ausgelegten Köder mehr oder weniger sehnsüchtig auf einen Abnehmer.

Nachdem es den ganzen Tag relativ warm war …

passten sich die Temperaturen nun langsam dem aktuellen Datum an und fielen in den Keller. Da konnte nur der Schlafsack Abhilfe leisten. Ich schließe meine Augen und öffne sie erst am nächsten Morgen wieder. Ruhig war es geblieben während wir schliefen und so beschäftigten wir uns bereits beim morgendlichen Kaffee damit was funktioniert hatte und was eben nicht, um unsere Taktik anzupassen und die Fallen in der kommenden Nacht noch optimaler zu stellen.

Der Tag plätscherte so dahin, wir schossen Fotos, veränderten einige Ausleger, eine Boje kam weg, dafür ein Ausleger dazu und irgendwann war dann auch schon die Dämmerung im Anmarsch. Und diese brachte noch mehr Wasser mit sich.

Im Laufe der Nacht verlagerten sich die befischten Strömungskanten …

U-Posen rutschten trotz großer Steine und befischte Strömungstaschen verschwanden. Eine Montage nach der anderen verabschiedete sich, doch als die Rute am Holz knallte war klar, dass daran nicht das Wasser Schuld war. Das schlammige und steile Ufer wurde zusammen mit meinen Neoprensocken und den kräftigen Fluchten des Fisches zu meinem Verhängnis, sodass ich zwei Mal schön auf die Fresse flog.

Den Kontakt zum Fisch verlor ich jedoch nie und so konnte Sven Augenblicke später den nächsten Fisch greifen. Wahnsinn! Wir freuten uns wie die kleinen Kinder. Was auffällig war, war die Tatsache, dass alle Fische die wir fingen die Köder komplett inhaliert hatten und an den Ruten einschlugen als gäb‘ s kein Morgen mehr. Scheinbar hatten sie auf so etwas gewartet.

Sonntagnachmittag …

Sven und ich sitzen am Ufer neben unseren vollbeladenen Autos und lassen die Eindrücke noch einmal auf uns wirken. „Irgendwie wird mir so langsam klar was seit Freitag alles passiert ist, echt krass“, sage ich zu Sven, „nun hat sich all die Arbeit ausgezahlt die ich übers Jahr hatte und für die ich nicht belohnt worden bin.“ Dann schweige ich und mir wird plötzlich auch bewusst, dass sich parallel dazu mittlerweile alles andere was mich in letzter Zeit beschäftigte, zum positiven gedreht hat.

Deshalb sehe ich dieses Hochwasser und die damit verbundenen Erlebnisse nicht nur als irgendeine Wetterkapriole, sondern, auch wenn‘s sich total bescheuert anhört, für mich persönlich als einen Aufbruch in neue, wieder bessere Zeiten.

 

 

Zeiten, zurück in die Spur eben …